Dr. Patrick Bergmann bei der Podiumsdiskussion während der dritten Auflage von "LIST auf den Punkt." am 18. Juni 2024 in Köln.
Quelle: a|w|sobott, André Sobott

Schlaglichter zum CO₂-Preis: Was ist jetzt zu tun? Podiumsdiskussion bei „LIST auf den Punkt.“

Die Karten liegen auf dem Tisch – aber wie kriegen wir das beste Blatt auf die Hand? CO₂ hat seinen Preis, ist längst eine eigene Währung und wird Immobilien langfristig und tiefgreifend verändern. Nur wie genau? „Es ist eine Büchse der Pandora mit zwei Unbekannten: wo geht der Preis hin und wo das Klima“, sagte Jürgen Utz, Leiter der Nachhaltigkeitsentwicklung bei der LIST Gruppe bei der dritten Auflage von „LIST auf den Punkt.“ – und bereitete den Boden für eine lebhafte Diskussion voller Perspektiven und Blickwinkel.

Neben Jürgen Utz und den Speakern Manuel Höchemer (Commerzbank), Nadine Trautmann (Deka Immobilien Investment) und Jannick Höper (LIST Eco) vervollständigte Dr. Patrick Bergmann als Geschäftsführer von Madaster Germany die Expert:innen-Runde. Mit Madaster arbeitet Bergmann am ehrgeizigen Ziel, auch graue – also in der Herstellung von Baumaterialien ausgestoßene – Emissionen messbar zu machen. Der Fokus solle nicht länger ausschließlich auf dem CO₂ liegen, das im und durch den Gebäudebetrieb ausgestoßen werde. „Die Hälfte des Fußabdrucks eines Gebäudes ist schon raus, bevor der Mieter das erste Mal die Heizung aufdreht. Wir müssen also auf die erste Hälfte schauen“, erklärte Bergmann.  

Wir haben diskutiert, Fragen gestellt – und beantwortet. Unsere Schlaglichter zum CO₂-Preis: 

Der Ausblick: Quo vadis Emissionshandel im ETS II?

Manuel Höchemer: Wir haben in Europa den Vorteil, dass wir schon viel Erfahrung mit Emissionshandel gemacht haben. Wir haben ein bisschen etwas durchgemacht und gesehen was gut und was nicht gut funktioniert. Der Zertifikatspreis war mal sehr gering im Bereich von ein, zwei, drei Euro – dann wieder fast 100 Euro. Es gab ein paar Kinderkrankheiten, weil nicht ganz klar war, wie die Steuerung funktioniert und wie die Wirtschaft darauf reagiert. Das sind gute Erfahrungen für das ETS II. Es gibt sehr viele Überschneidungspunkte mit dem ETS I. Es gibt aber auch Unterschiede: Zum Beispiel, dass es eine Art Obergrenze gibt, in dem 45 Euro pro Tonne erst einmal ein Startpreis ist. Natürlich kann der Preis auch höher sein, weil er sich am Markt bildet. Das Stichwort ist Marktstabilitätsreserve. Wenn zu viele Zertifikate im Umlauf sind, werden welche aus dem Markt gezogen. Sind zu wenig im Umlauf, ist der Preis zu hoch und es können wieder Zertifikate in den Markt geworfen werden. Es bildet sich ein gesteuerter Preis über Marktmechanismen, aber nicht rein über das Angebot und die Nachfrage. 

Die Prognose: Der CO₂-Preis wird schnell hochfahren, Assets sind schon gestrandet oder werden es tun.

Nadine Trautmann: Wir kaufen als sehr klassischer Investor immer die Kirsche auf der Sahnetorte, die besten Assets am Markt. Wir machen Klimafahrpläne für jedes einzelne Asset, die transitorische und physische Risiken betrachten. Es gibt am Markt aber auch Stranded Assets, wo es unwirtschaftlich wird und wir uns unterhalten müssen. Was machen wir mit diesen Assets? Im institutionellen Fondsmarkt ist Nachhaltigkeit als Investmentfaktor schon lange mit eingepreist. Wenn wir solche Kirschen kaufen, dann nur wenn sie alle Nachhaltigkeitsanforderungen auch langfristig erfüllen. 

Der Haken: Wie passen CO₂-Bepreisung, Bestandsbau und Zirkularität zusammen?

Dr. Patrick Bergmann: Im Neubau wird die Thematik meist kompletter gesehen. Dort wird mit maximalen Mengen CO₂ pro Quadratmeter gerechnet. Das im Bestand umzurechnen, ist schwer. Gebäude sind in der Regel nicht dafür gebaut worden, sie wieder auseinander zu nehmen. Wären die alle zirkulär gebaut worden, wäre das deutlich einfacher. Dann könnte man sie umbauen und neu nutzen. Wir sehen aber auch, dass das immer mehr betrachtet wird. Gebäude, die früher abgerissen worden wären, bleiben heute stehen. Es gibt dann einen Rucksack, der ist aber nur noch halb so groß und man muss sich etwas Schlaues überlegen. Durch die Marktlage brauchen wir aber ohnehin mehr Kreativität.

Die These: CO₂-armes Bauen hängt nicht nur an der Materialwahl

Jannick Höper: Die Frage ist: Rechnet sich das? Und reden wir von Wohngebäuden, Logistik oder Hotels? Die erste Hürde sind die Landesbauordnungen. Wenn wir es wirklich wollen und wir nur Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen benutzen wollen, spätestens da werfen uns zum Beispiel der Brandschutz und Schallschutz einen Knüppel zwischen die Beine. Beim Thema Kreislaufwirtschaft: Versucht man tragende Elemente wieder einzubauen, bringt das wirklich keinen Spaß. Da muss man Hürden nehmen. Man hat nicht nur auf der einen Seite ein Preisthema, sondern auch Regulatorik im Sinne von Gesetzgebung.  

Es ist möglich, wir haben es auch schon gemacht bei einem Pilotprojekt mit LIST Bau Nordhorn in Bremen. Die Frage „Was ist möglich?“ bei CO₂-ärmeren Materialien ist schon da. Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, wie sehr die Industrie teilweise beschränkt ist. Wir sind an einem Punkt der Veränderung in einer Übergangsphase von der gewohnten in eine neue Ordnung. Bis sich das eingeruckelt hat, dauert es noch. Die Nachfrage ist da und es ist umsetzbar. Wenn man es machen will, dann kann man es machen. Es kommen Finanzwelt und Bauwelt zusammen. Da kommen zwei Welten zueinander, die nicht die Sprache des anderen sprechen. Man versteht zu Anfang kein Wort vom anderen. Aber man kommt dort hin und kann gemeinsam Lösungen entwickeln.  

Nachgehakt: Bietet der freiwillige Emissionshandel nicht gefährliche Schlupflöcher?

Manuel Höchemer: Es braucht immer einen gewissen Zwang. Wir haben noch gar kein ETS II und trotzdem sitzen wir schon hier, weil der Preis kommt. Wir würden nicht hier sitzen, wenn das eine rein freiwillige Maßnahme wäre. Der freiwillige Markt ist kein Substitut. Es ist völlig klar, dass wir CO₂ vermeiden müssen. Aber können wir alles vermeiden? Nein. Wir müssen reduzieren, aber wir können nicht auf 0 reduzieren. Sonst gäbe es auch keine CO₂-Ziele. Wir haben einen Pfad. Es geht auf dem freiwilligen Markt um den Rest der Emissionen und den Ausgleich. Es muss transparent sein. Es muss sehr klar sein, was gemacht wird und wie es gemacht wird. Es muss ‚high quality‘ sein. Einfach in den Markt zu schauen und zu sagen: „Ich nehme das Günstigste, das da ist“ – da würde ich sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante. 

Das Risiko: Wie sichern wir uns gegen eskalierende CO2-Preise ab?

Nadine Trautmann: Green Lease Mietverträge sind ein essenzielles Thema, weil wir die Verbrauchsdaten brauchen. Ohne Verbrauchsdaten keine effiziente Steuerung. Dafür gibt es diverse Lösungen am Markt, die extrem intelligent sind und uns dazu bringen, den CO₂-Fußabdruck der Gebäude nur durch effiziente Gebäudesteuerung zwischen 20 und 30 Prozent zu senken. Das Gesetz schreibt eine gewisse Aufteilung der CO₂-Kosten vor. Wir müssen die Mieter gar nicht dazu drängen, CO₂ einzusparen. Die Mieter kommen auf uns zu und fragen, was sie tun können. Viele Mieter sind auch CSRD-reportingpflichtig und haben ein hohes Eigeninteresse, einen möglichst niedrigen Fußabdruck zu haben. 

Die Schlussfrage: Was sollen wir morgen anders machen?

Jannick Höper: Alle Stakeholder am Markt, die Finanzwelt, Bauwelt, Entwickler, Versicherer sind in der Verantwortung. Es ist nicht mehr eindimensional. Das macht es natürlich komplexer. Wir müssen mehr zusammenarbeiten. Wir sind der Überzeugung, dass sich Qualität durchsetzt.  Klimaschutz kostet Geld, das ist so. Es nicht zu machen, kostet aber mehr Geld. Wir haben es verlernt, gemeinsam Lösungen zu finden aus allen Fachdisziplinen. Dazu gehört auch die Finanzwelt. Jeder muss für sein eigenes Handeln Verantwortung übernehmen. Wir sollten mitnehmen: CO₂ kostet ‘ne Mark. Deshalb muss man es in die Wirtschaftlichkeitsberechnung einbeziehen. 

Nadine Trautmann: Die Themen sind gekommen, um zu bleiben und gehen nicht mehr weg. Wenn man die Themen durchdenkt, muss man in Szenarien denken. Es gibt nicht einen Preis. Machen Sie langfristige Opportunitätskostenrechnungen – nicht für drei oder fünf Jahre, sondern für den Lebenszyklus. Das bringt viele Argumente, wir erleben die Widerstände noch immer. Wenn man Transparenz schafft und zulässt, hat man schon viele Schritte in die richtige Richtung gemacht. 

Patrick Bergmann: Ich würde das nicht als Risiko, sondern als Chance sehen. Wir müssen den Markt beobachten und überlegen, wie man sich besser als die anderen positionieren kann. Wenn man sich frühzeitig damit beschäftigt, wird es auch einfacher, die Leute mitzunehmen. Wir müssen anfangen, es gibt genügend Beispiele. Wir müssen diese komplexe Thematik in der Praxis üben. Wir fangen nicht ganz oben an, aber auch nicht bei 0. Dann klappt das auch. 

Manuel Höchemer: Es ist jeder vom CO₂-Preis betroffen, also hat auch jeder die Verantwortung. Es ist kein Alleingang, sondern ein internationales Thema. Die Informationen sind verfügbar, man kann sich ins Thema reinarbeiten. ‚Carbon removal‘ ist ein wichtiges Thema. Wir werden die Welt damit besser machen, aber nicht retten. Die Zeit ist nicht mehr da, Cherrypicking zu betreiben. Wir brauchen alle Karten auf dem Tisch.