Quelle: LIST Gruppe

Graue Emissionen sichtbar machen. Elyser in der Praxis.

Es ist mittlerweile Konsens, dass in der Baubranche Emissionen eingespart und reduziert werden müssen. Dabei ist es wichtig, den Fokus nicht nur darauf zu legen, Gebäude besonders energieeffizient zu betreiben, sondern auch die „unsichtbaren“ grauen Emissionen der Gebäudekonstruktion und Technischen Gebäudeausrüstung hervorzuheben. Für eine ganzheitliche Betrachtung der verursachten Emissionen muss man sich den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes anschauen.

Karina Große Lögten, Projektmanagerin nachhaltiges Bauen, und Philipp Müller, Analyst nachhaltiges Bauen, haben uns erklärt, wie sie in der Praxis graue Emissionen sichtbar machen können.

In der Baubranche bezieht sich der Begriff „graue Emissionen“ oder „gebundene Emissionen“ auf die indirekten oder verdeckten Treibhausgasemissionen, die im Verlauf des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks anfallen. Diese Emissionen entstehen in verschiedenen Phasen des Lebenszyklus, darunter die Herstellung von Baustoffen, der Transport der Materialien, die Bauprozesse, die Instandhaltung des Gebäudes sowie dessen Abriss und Entsorgung. Mit dem neuen Tool von LIST Eco – Elyser – lassen sich die grauen Emissionen eines Gebäudes sichtbar machen.

„Mit Elyser können wir die Modellanalyse, Informationsanreicherung und Nachhaltigkeitsoptimierung beziehungsweise ­bewertung von digitalen Bauwerksmodellen durchführen. Unser Fokus liegt dabei momentan noch auf der Durchführung von Ökobilanzierungen (LCA) zur Nachweisführung von relevanten Zertifizierungssystemen für den deutschen Markt und EU­Rahmenwerke“, erklärt Große Lögten.

Bevor wir uns das Programm aber etwas näher ansehen, steht die Frage im Raum: Was sind graue Emissionen und graue Energie?

Graue Emissionen, graue Energie.

Als graue Emissionen bezeichnet man unsichtbare, indirekte Emissionen, die bei der Herstellung, dem Transport, der Instandhaltung und der Entsorgung von Produkten entstehen. Diese Emissionen sind oft schwer zu quantifizieren und fallen als Folge von Prozessen an, die nicht unmittelbar mit der Verbrennung von fossilen Brennstoffen verbunden sind. Graue Emissionen sind solche, die beispielsweise durch den Einsatz von Chemikalien in der Produktion, den Austausch von Bauteilen während der Nutzung oder den Transport von Materialien entstehen.

Die erforderliche nicht erneuerbare Primärenergie zur Herstellung, Instandhaltung und Entsorgung inklusive der Transporte von Baustoffen wird häufig als „graue Energie“ bezeichnet. Die Idee ist, dass Gebäude nicht nur nach ihrem offensichtlichen Energieverbrauch bewertet werden sollten, sondern auch nach der gesamten Energiemenge, die im Laufe ihres Lebenszyklus verbraucht wird.

Große Lögten beschreibt: „Insgesamt zielt die Betrachtung von grauer Energie und grauen Emissionen darauf ab, eine umfassendere Bewertung der Umweltauswirkungen von Produkten oder Prozessen zu ermöglichen. Darin werden dann nicht nur der offensichtliche Energieverbrauch und die direkten Emissionen berücksichtigt, sondern auch die versteckten oder indirekten Auswirkungen während des gesamten Lebenszyklus.“

Elyser-Einmaleins.

„Wir werden oft gefragt, ob die grauen Emissionen wirklich so stark ins Gewicht fallen, dass sich der ganze Aufwand lohnt. Deshalb haben wir das Verhältnis von betrieblichen und materialgebundenen Umweltwirkungen einmal genau durchgerechnet. Denn auf Basis von Zahlen lässt es sich am besten verdeutlichen“, bestätigt Müller.

Elyser bietet eine umfassende Darstellung der Emissionen eines Gebäudes, um gezielt Optimierungen hinsichtlich der gebundenen CO2­Emissionen einzelner Materialschichten vornehmen zu können. Es ermöglicht schnelle Vergleiche verschiedener Varianten und bringt verborgene Emissionen ans Licht. Eine zusätzliche Übersicht der Ergebnisse zeigt graue Emissionen mit Benchmark­Werten aus Zertifizierungssystemen an.

Indem einzelne Bauteilschichten je nach relativem CO2­Impact unterschiedlich eingefärbt werden, wird der CO2­Impact einzelner Materialien direkt im 3D­Modell sichtbar. So können auf den ersten Blick die größten CO2­Verursacher identifiziert werden.

Mit Elyser können neben der Gebäudekonstruktion auch die gebundenen Emissionen der TGA bilanziert werden, was das Programm von der derzeitigen Softwarelandschaft abhebt. Außerdem können auch die betrieblichen Emissionen in Elyser berechnet und dargestellt werden und das Programm unterstützt unterschiedliche Berechnungsregeln je nach gefordertem Zertifizierungssystem.

Als Standarddatenbasis nutzt Elyser die ÖKOBAUDAT. Dies ist eine öffentliche Ökobilanz­Datenbank für die Ökobilanzierung von Bauwerken des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Auch herstellerspezifische Datensätze können verwendet und neue hinzugefügt werden. Dies ermöglicht auch die Betrachtung von innovativen Bauprodukten, die noch nicht Teil der ÖKOBAUDAT sind.

Die größten Treiber von Emissionen in der Baubranche sind Beton­ und Stahlbauteile, was vor allem an der energieintensiven Herstellung der Materialien liegt. Die Analyse beginnt bei den größten Treibern, um den größten Einfluss zu erzielen und sicherzustellen, dass keine wichtigen Teile übersehen werden.

Aspekte, die zu grauen Emissionen in der Baubranche beitragen können:

Herstellung von Baustoffen:
Die Produktion von Baustoffen wie Zement, Stahl und anderen Materialien erfordert häufig energieintensive Prozesse, die mit Emissionen von Treibhausgasen einhergehen, insbesondere CO2.

Transport:
Der Transport von Baustoffen zum Bauplatz kann zu grauen Emissionen führen, insbesondere wenn weite Entfernungen zurückgelegt werden und der Transport mit fossilen Brennstoffen betrieben wird.

Bauprozesse:
Der Energieverbrauch während des Bauprozesses, der Einsatz von Maschinen und Baugeräten sowie der Verbrauch von Bauchemikalien können zu indirekten Emissionen beitragen.

Instandhaltung des Gebäudes:
Die Instandhaltung oder der Austausch einzelner Bauteile oder technischer Geräte während der Nutzung des Gebäudes führen ebenfalls zu grauen Emissionen.

Abriss und Entsorgung:
Der Rückbau und die Entsorgung von Gebäuden können Emissionen verursachen, insbesondere wenn nicht wiederverwertbare Materialien auf Deponien landen.

Um graue Emissionen in der Baubranche zu reduzieren, sind nachhaltige Baupraktiken und die Verwendung umweltfreundlicher Materialien entscheidend. „Um ganzheitlich Emissionen einzusparen, sollte neben der Verwendung von CO2­reduzierten Baustoffen der Fokus auf die Wiederverwendung von Materialien gelegt werden. Denn es gilt, die Materialien und dort gebundenen grauen Emissionen möglichst lange in einem Kreislauf zu halten“, erklärt Müller.

Quelle: LIST Gruppe
Über Elyser.

„Elyser“ ermöglicht die Analyse von Bauwerksmodellen, um die Einhaltung der Klimaziele der Baubranche und des Immobiliensektors sicherzustellen. Die Anwendung berücksichtigt Systemgrenzen von Zertifizierungssystemen und der EU-Taxonomie, liefert aussagekräftige Bewertungsergebnisse und deckt mehr Produkte und Materialien der Technischen Gebäudeausrüstung ab als vergleichbare Lösungen. Der Fokus liegt auf der modellbasierten Ökobilanzierung gemäß DIN EN 15643 und DIN EN 15978, die alle Lebenszyklusmodule einer Immobilie berücksichtigt. „Elyser“ ermöglicht zudem die semantische Aufbereitung von BIM­Modellen, damit diese auch zur Bewertung der Zirkularität und zur Erstellung eines Gebäuderessourcenpasses herangezogen werden können. Anhand dieser Daten liefert „Elyser“ Optimierungsvorschläge und bezieht auch die Richtlinien von Zertifizierungssystemen mit ein.

Mehr zu Elyser

Zur Entstehung.

Sebastian Theißen und Jannick Höper, beide geschäftsführende Gesellschafter bei LIST Eco, initiierten im Jahr 2018 ein Forschungsprojekt an der Technischen Hochschule Köln zum Thema Modellbasierte Gebäudeökobilanz. Während dieses Projekts wurden die Grundlagen für Elyser gelegt. Diese Basis wurde von Jannick in seiner Masterarbeit methodisch weiterentwickelt und prototypisch umgesetzt. Gemeinsam  wurde dieser Prototyp bei der LIST Eco zur Marktreife gebracht und weiterentwickelt, um nun im Unternehmen eingesetzt zu werden.

Zu den Personen.

Philipp Müller ist seit Anfang 2023 Analyst für nachhaltiges Bauen bei LIST Eco. Der gelernte Bauingenieur ist zudem DGNB-zertifizierter Registered Professional und DGNB ESG­Manager. Für seine Masterarbeit zum Thema „Potenzialanalyse zur modellbasierten Überprüfung der EU­Taxonomie­Kriterien für Bau­ und Immobilientätigkeiten“ hat er beim BIM­Cluster Hessen im Rahmen des Frankfurter BIM­Symposiums 2023 in der Kategorie „Forschung und Lehre“ den BIM­Award erhalten. Bei LIST Eco beschäftigt er sich unter anderem mit der Durchführung von modellbasierten Ökobilanzierungen, Zirkularitätsbewertungen, CRREM­Analysen, Fördermittelanalysen sowie DGNB, EU­Taxonomie und QNG Pre­Checks.

Karina Große Lögten ist seit Anfang 2023 Teil des LIST Eco Teams. Seit Anfang dieses Jahres ist die gelernte Wirtschaftsingenieurin der Fachrichtung Bauingenieurwesen Projektmanagerin für nachhaltiges Bauen. Als DGNB Consultant ist sie akkreditierte Expertin für die DGNB-Zertifizierung. Neben der Durchführung von Zertifizierungen beschäftigt sie sich bei der List Eco hauptsächlich mit modellbasierten Ökobilanzen und Zirkularitätsbewertungen.